„Arbeitsschwerpunkte im Gesundheitsamt ändern sich wöchentlich“

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) Im Friedberger Gesundheitsamt gehen seit Februar die Uhren anders. Nicht mehr Medizinalaufsicht, Hygienekontrollen, Schuleingangsuntersuchungen oder ärztliche Gutachten stehen im Mittelpunkt, auch die Belehrungen für Menschen, die mit Lebensmitteln hantieren, sind ausgesetzt. Alles folgt den Erfordernissen der Corona-Pandemie. Fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachdienstes Gesundheit und Gefahrenabwehr sind in irgendeiner Weise mit dem Thema befasst.

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Wir haben mit Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs über die zusätzlichen Belastungen gesprochen.

Herr Dr. Merbs, das Thema Infektionsschutz und Epidemien oder Pandemien ist ja nichts Neues für das Gesundheitsamt. SARS oder die Vogelgrippe sind nur zwei Beispiele. Die Corona-Pandemie hat Sie also nicht kalt erwischt?
Dr. Reinhold Merbs: "Nein, sie hat uns nicht kalt erwischt, weil wir schon im Vorfeld eine Pandemie oder im kleineren Maßstab eine Epidemie vorgedacht haben. Dafür haben wir Schutzkonzepte aufgestellt, Materialien eingelagert und mit allen beteiligten Akteuren ein abgestimmtes Vorgehen vorbereitet. Der Wetteraukreis hat hierzu einen Pandemie-Plan. Allerdings muss man einschränkend hinzufügen, dass wir immer davon ausgegangen sind, dass wir es mit einer Mutation des Grippevirus zu tun haben werden. Dass aus dem Nichts heraus ein völlig neues Virus gekommen ist, hat alle ziemlich überrascht. Dennoch haben die Pläne im Wesentlichen gegriffen."

Wo ist denn besonders viel Arbeit angefallen?
Dr. Reinhold Merbs: "Da ist zunächst einmal vorauszuschicken, dass sich unser Arbeitsschwerpunkt wöchentlich verändert. Am Anfang hatten wir es mit Reiserückkehrern aus Österreich oder Tirol zu tun. Dann sind die Viren in die Einrichtungen zu den besonders schützenswerten Personenkreisen vorgedrungen. Dann mussten wir uns sehr viel mit Altenheimen und Pflegeeinrichtungen beschäftigen. Parallel dazu gab es ein heftiges Krankheitsgeschehen. Wir mussten vorplanen für eine Eskalation in der Versorgungssituation. Aktuell kämpfen wir wieder nach einem relativ ruhigen Sommer mit ansteigenden Fallzahlen, die oft etwas mit Reiserückkehrern zu tun haben. Ganz aktuell liegt unser Arbeitsschwerpunkt im Moment beim Eintrag von viruspositiven Personen in Kindergärten und Schulen."

Warum ist das so?
Dr. Reinhold Merbs: "Im Gegensatz zur Anfangssituation der Pandemie, wo die Familien zu Hause waren, und sich ein positiver Fall vielleicht auf drei Personen innerhalb einer Familie ausgewirkt hat, wirkt sich jetzt ein Fall auf viele Personen aus, die in Kitas, Schulen oder im Arbeitsleben unterwegs sind. Da hängen jetzt statt drei Personen 30 Personen dran, die rückverfolgt werden müssen."

Das ist eine massive Mengenausdehnung. Brauchen wir noch zusätzliches Personal für die Kontaktnachverfolgung? Ich stelle es mir schwer vor für einen Verwaltungsmitarbeiter diese Aufgaben mit medizinischen Fragestellungen zu übernehmen.
Dr. Reinhold Merbs: "In der Erstklärung des Falles sondieren unsere bewährten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Fragen. Wenn es aber um weitere Fragen bei der Kontaktnachverfolgung geht, wo es um einfache Sachverhalte geht, können wir sehr gut mit Verwaltungsfachleuten aus anderen Bereichen arbeiten."

Zum Beispiel?
Dr. Reinhold Merbs: "Zum Beispiel machen wir einen Reihentest, danach müssen 30 Personen mit einem negativen Ergebnis informiert werden. Diese Leute anzurufen und über das Ergebnis zu informieren, das können diese Helferinnen und Helfer gut. Das wird uns zunehmend wichtiger, weil wir mit Mengeneffekten zu kämpfen haben. Wie gesagt, ein positiver Fall sorgt oft dafür, dass wir mit 30 Personen und mehr Kontakt aufnehmen müssen. Zum Teil müssen wir da erst noch die Kontaktdaten ermitteln. Das machen wir zum Teil auch mit Hilfe der Polizei."

Eine wichtige Frage war auch zu Beginn der Pandemie die Frage des ausreichenden Materials.
Dr. Reinhold Merbs: "Das ist richtig. Wir sind jetzt auf jeden Fall besser aufgestellt als zu Beginn der Pandemie. Unsere Einrichtungen haben darauf vertraut, dass dauerhaft Material für 14 Tage eingelagert ist und dann einfach bei Bedarf neues bestellt wird, und dass das dann auch in den Lieferketten funktioniert. Das war im März/April nicht der Fall."

Wie sieht die Situation heute aus?
Dr. Reinhold Merbs: "Wir haben deutlich mehr Material in Reserve als das noch zu Anfang der Fall war. Die zwischenzeitlich aufgetretenen Lücken sind wieder gefüllt. Dennoch muss klar sein, wenn wir in ein Infektionsgeschehen hineinkommen, wo die Krankenhäuser und die Pflegeeinrichtungen wieder einen steigenden Bedarf haben, dann kann man auch an die Grenzen kommen. Dann kann man nur hoffen, dass mittlerweile funktionierende Lieferketten aufgebaut sind."

Zu Beginn der Pandemie erschreckten die Bilder aus Italien, wo es viele Todesfälle gab. Die Krankenhäuser waren völlig überfordert. Wie war die Situation im Wetteraukreis?
Dr. Reinhold Merbs: "Wir haben ziemlich Glück gehabt, dass die Welle, die es bei uns auch gab, nicht so viele schwerkranke Menschen gebracht hat. Das hat auch etwas mit unserem Gesundheitssystem, mit einem gut funktionierenden Primärarztsystem zu tun. Auf dieser Ebene, also über die Hausärzte werden viele versorgt und gleichzeitig von den Kliniken ferngehalten. In anderen Ländern ist es dagegen eher üblich, mit einem Problem direkt ins Krankenhaus zu gehen, und da kam es zu Begegnungen von Infektiösen mit Menschen, die unter Vorerkrankungen litten. Zum Beispiel mit Diabetikern, Herzkranken oder mit Menschen, die zur Tumornachsorge in der Ambulanz waren. Dort häuften sich natürlich die Infektionen. Wir konnten allerdings auch aus den Fehlern der anderen lernen, weil uns die Pandemie etwas später erreichte. Die Versorgungslandschaft wurde umstrukturiert, Wahleingriffe wurden zurückgestellt und Krankenhausbetten freigemacht, um Notfälle kurzfristig und angemessen versorgen zu können."

Gab es noch weitere günstige Begleitumstände?
Dr. Reinhold Merbs: "Ja, wir haben ein neues System mit einer gestaffelten Versorgung der Kranken. Das heißt, nicht jedes Krankenhaus macht alles. Wir haben Schwerpunktkliniken, die besonders spezialisiert sind, wo Fachkompetenz zusammengeführt wird, wo neben der technisch-operativen Ausstattung mehr Wissen vorhanden ist. Insofern sind wir für eine zweite Welle vorbereitet und werden von den Veränderungen der Strukturen sicherlich profitieren."

Im zweiten Teil des Interviews lesen Sie, warum derzeit die Situation in den Kliniken entspannt ist und was das Gesundheitsamt tut, um Alten- und Pflegeheime besser zu schützen



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