Wirtschaftsförderung: "Coworking-Spaces haben großes Potenzial"

Wirtschaft
Typographie
  • Smaller Small Medium Big Bigger
  • Default Helvetica Segoe Georgia Times

Jeden Tag ins Büro pendeln, damit die Arbeit läuft?

CoworkingWetterau2112_jk (3).jpg

CoworkingWetterau2112_jk (1).jpg

Das muss nicht sein, wie spätestens die Corona-Pandemie deutlich gezeigt hat. Nach Monaten im Homeoffice ist aber auch klar: Auf Dauer taugt ein Küchentisch nicht als Arbeitsplatz, ersetzt keine Videokonferenz die Kaffeepause mit den Kollegen, und wer ständig erreichbar ist, arbeitet oft mehr, als ihm oder ihr gut tut.

Wie es anders gehen kann, zeigen zwei Beispiele aus der Region: der „Pendlerhafen“ Betterau in Ilbenstadt und das genossenschaftliche Modell dasgute.haus in Butzbach. In diesen sogenannten Coworking-Spaces kann man außer Haus arbeiten, aber doch in der näheren Umgebung. Die Wirtschaftsförderung Wetterau sieht darin ein großes Potenzial für die Zukunft des ländlichen Raums. Auch – oder gerade weil – die beiden Ansätze unterschiedlicher kaum sein könnten.

dasgute.haus in der Butzbacher Altstadt ist vor gut einem Jahr als gemeinnützige Genossenschaft gegründet worden. „Wir sind ein Familientreffpunkt im Stadtkern“, erklärt Dr. Agnes Model das Konzept des Mehrgenerationenhauses, das gerade eröffnet worden ist. „Wir wollen Unterstützung im Alltag bieten, um modernen Ansprüchen gerecht zu werden“, ergänzt ihre Vorstandskollegin Stefanie Krause. Was Familien heutzutage brauchen, wissen die beiden als berufstätige Mütter aus eigener Erfahrung. dasgute.haus soll die wichtigen Räume des Lebens widerspiegeln: Marktplatz, Spielplatz, Arbeitsplatz. „Der Marktplatz ist ein öffentlicher Treffpunkt, der Spielplatz bietet Raum für Kultur, Erfahrungen und Erlebnisse, und der Arbeitsplatz schafft Raum zum Co-Worken und zum Betreuen von Kindern und Jugendlichen“, zählt Model auf.

Die Zielgruppen eines solchen neu gedachten Arbeitsplatzes, an dem Menschen aus verschiedenen Branchen zusammen arbeiten, sind Freiberufler, Gründer, Pendler, Angestellte im Homeoffice und auch Mütter und Väter in Elternzeit, die wieder einige Stunden beruflich aktiv sein wollen. Gibt es momentan für die Kinder schon zahlreiche Spielmöglichkeiten in dem hellen, großen Raum, soll es bald ein professionelles Betreuungsangebot geben. Basierend auf dem Gemeinschaftsgedanken des Projekts sollen zudem Bildungs-, Beratungs- und Netzwerkangebote organisiert werden.

Zurzeit ist dasgute.haus noch in der Erprobungsphase, um festzustellen, was von den Nutzern gewünscht und benötigt wird. Ein großer, multifunktionaler Raum im Erdgeschoss ist das Herzstück des Hauses. Sechs Arbeitsplätze stehen zur Verfügung, aber auch Meetings und Yoga-Kurse sind hier gut vorstellbar. „Weil wir dasgute.haus als Wohnzimmer verstehen, heißt es gleich am Eingang: Schuhe aus“, erklärt Krause. Die Initiatorinnen legen Wert auf eine familiäre Atmosphäre, was aber die Akkustiktrennwand weiter hinten nicht ausschließt, um in Ruhe arbeiten zu können.

Zur derzeitigen Testphase gehört auch, dass es keine festen Preise gibt – weder für die Tasse Kaffee noch für einen Arbeitstag im Coworking-Space. „Jeder gibt, was er denkt“, sagt Model. „Im Frühjahr machen wir Kassensturz und entscheiden dann, wie es weitergeht.“ Zurzeit hat die Genossenschaft knapp 100 Mitglieder, die mindestens einen Anteil zu je 100 Euro erworben haben. „Wir laden zwar wie ein Verein zum Mitgestalten ein, aber wir wollten wirtschaftlich bewusst nicht als Verein auftreten“, erläutert Krause, warum sie sich für eine Genossenschaft als Rechtsform entschieden haben. Die Stadt Butzbach unterstützt das Projekt, indem sie die Hälfte der Warmmiete übernimmt. Darüber hinaus ist dasgute.haus auf Spenden angewiesen, und auch das Akquirieren von Fördermitteln ist wichtig. Hier steht die Wirtschaftsförderung Wetterau beratend zur Seite und hat dem Vorstand beispielsweise ein neues Programm des Landes Hessen vorgestellt: Für dasgute.haus könnten Zuschüsse als Familienzentrum infrage kommen.

„Ideen und Innovationen tragen eine Stadt“

„Pioniere in der Region“ nennt Projektmanager Oliver Schmidt von der Wirtschaftsförderung Wetterau die beiden Frauen. Die Analyse der künftigen Entwicklung des Wetteraukreises zeige: Er werde als anliegender Raum an die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main von der veränderten Arbeitswelt der Zukunft profitieren, zumal die Digitalisierung immer weiter voranschreite. „Der Wetteraukreis befindet sich in einer Gunstlage“, betont Schmidt. Diesen Zeitgeist greife dasgute.haus auf. „Es zeigt, wie die Region tätig werden kann, um auf die Veränderungen der Arbeits- und Lebenswelt zu reagieren.“

Die Bedeutung des Projekts hebt auch Bernd-Uwe Domes, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Wetterau, hervor. Seit Jahren begleitet sein Team die Stadt Butzbach bei der Innenentwicklung. „Butzbach ist in den letzten Jahren sehr dynamisch gewachsen. Die Frage ist: Wie kann man eine solche Stadt weiterentwickeln?“ Zwischendurch brauche es eine Zeit der Konsolidierung, denn es gehe ebenso um das Wachstum von Ideen und Innovationen. „Das sind tragende Strukturen für eine Stadt und ihre Gemeinschaft.“ dasgute.haus sei ein herausragendes Beispiel: Das Engagement komme aus der Bürgerschaft heraus, mit einem Blick für eine Bedarfslücke nehme es eine wichtige, vernetzende Funktion ein. „dasgute.haus trägt dazu bei, dass sich Strukturen entwickeln, die die Stadt tragen - sozial und kulturell“, betont Domes.

Arbeiten ohne Ablenkungen

Anders als in Butzbach sieht der Ansatz des Projekts Betterau in Ilbenstadt aus. „Zu uns kann man vor den Familienstrukturen flüchten“, sagt Geschäftsführer Ivo Schönberner. In seinem Coworking-Space in Ilbenstadt soll gearbeitet werden, und spielende Kinder im selben Zimmer sind naturgemäß kein Faktor, der die Produktivität nach oben treibt – Schönberner spricht aus eigener Erfahrung. Und dazu gehören nicht nur Kinder. Auch der klingelnde Postbote oder die Waschmaschine, die zwischendurch angestellt wird, können von der Arbeit ablenken. „Bei uns kann man in drei bis vier Stunden abarbeiten, wozu man zu Hause vielleicht acht Stunden gebraucht hätte.“ Nicht zu vergessen die eingesparte Zeit fürs Pendeln. Das Ergebnis: mehr Zeit für wichtige Dinge wie die Familie, so lautet Schönbergers Rechnung. „Nur dann wird man abends glücklich ins Bett gehen.“

Das Betterau-Angebot richtet sich an Menschen, die im Frankfurter Speckgürtel wohnen und die Fahrt zur Arbeit in der Metropole nicht zwingend jeden Tag in Kauf nehmen müssen. „Bei uns können sie von einem Ort aus zentral arbeiten“, an einem technisch hochmodernen Arbeitsplatz – kein Wunder, verdient Schönberner doch sein Geld in der IT-Branche, ebenso wie sein Projektmanager Peter Stützner.

Dieses erste Standbein ist auch nötig: „Zurzeit ist es eine Minusnummer“, sagt Schönberner über sein Projekt, in dem er großes Potenzial sieht. „Ilbenstadt ist unser erster Standort, wir wollen expandieren.“ Die fürs Co-Working nötigen Strukturen würden gerade erst wachsen – auch in den Köpfen. „Homeoffice war vor Corona ein nettes Zusatzthema. Inzwischen sind aber auch die Nachteile aufgefallen.“ Doch deshalb komplett zurück ins Büro? Für viele Menschen keine erstrebenswerte Aussicht. „Wenn ein Mitarbeiter sagt, er fühlt sich zu Hause wohler, ist das ein valider Punkt. Das Problem ist allerdings, wie auch Studien zeigen, dass viele die Arbeit im Homeoffice nicht vom Privaten trennen können, nachts um 23 Uhr zum Beispiel noch E-Mails bearbeiten. Deshalb brauchen wir einen Rückzugsort.“

Das haben die ersten Unternehmen schon verstanden – und darauf reagiert. 80 Prozent der Betterau-Kunden sind Arbeitgeber, die Plätze für ihre Mitarbeiter buchen, zu einem fixen Tagespreis, mit optionalen Zusatzleistungen wie Rund-um-die-Uhr-Zugang. „Aktuell gehen hier 25 Menschen ein und aus“, sagt Projektmanager Stützner. Regelmäßig, das bedeutet meist zweimal die Woche. Die Unternehmen sparen dadurch nicht nur Miete, sondern auch Geld für Strom und Heizung, IT und Reinigung, Wasser und Kaffee. „Das ist in Frankfurt ja auch alles teurer“, sagt Schönberner. „Co-Working ist ein Geschäftsmodell, das zukunftsträchtig wird.“ Spätestens 2022, wenn viele Großflächen im Rhein-Main-Gebiet, die pandemiebedingt gekündigt wurden, nicht mehr zur Verfügung stehen. „Dann sind noch mehr Menschen im Homeoffice.“ Bis dahin, hofft der Unternehmer, kommen im hinteren Teil seines Gebäudes noch 65 Arbeitsplätze hinzu – und vermutlich auch ein Parkplatzproblem.

„Das alles ist ein komplexes Unterfangen“, sagt Schönberner. „Aber es macht sehr viel Spaß.“ Mit einer Kommune zusammenzuarbeiten, sei ganz anders als das, was er aus der IT-Branche kenne. „Die Menschen verfolgen ein gemeinschaftliches Ziel.“ Auch politisch sei ein Verständnis dafür erwacht, dass Co-Working dazu beitrage, die Menschen am Ort zu halten – und deren Kaufkraft. Beim Aufbau von Betterau sei ihm der Blick auf die Wirtschaftlichkeit wichtig. „Deshalb die GmbH-Struktur.“ Er habe das Projekt bewusst unabhängig von Fördermaßnahmen in Angriff genommen. „Bei der Suche nach Kooperationspartnern sind wir auf die Wirtschaftsförderung gestoßen.“

„Tragfähige Geschäftsmodelle für Co-Working-Spaces zu entwickeln, ist schwierig“, sagt Klaus Karger, neben Domes Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung, und verweist auf bundesweite Erfahrungswerte. Die Initiatoren von Betterau und dasgute.haus befänden sich in einem Experimentierfeld, das eine realistische Perspektive habe. „Wir unterstützen sie deshalb gerne mit unserer fachlichen Expertise, unserem Netzwerk und durch Hinweise auf Fördermöglichkeiten.“ Die Vorteile von Co-Working im Wetteraukreis lägen auf der Hand: „Es ist ein ländlicher, atmosphärischer Rückzugsraum.“ Der Entwicklungsdruck rund um Frankfurt werde weiter anhalten. „Deshalb sehen wir die Wetterau als interessanten Raum für Co-Working.“ Gerade auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel sei es wichtig, „stille Reserven“ wie Eltern in der Familienphase zu aktivieren. Dies gelinge einfacher, wenn man flexible Arbeitsmodelle schaffe.

Eine erste Finanzspritze gab es dank der Hilfe der Wirtschaftsförderung übrigens schon: Die Gründer von Betterau haben sich erfolgreich für einen sogenannten DIGI-Zuschuss des Landes Hessen beworben. Konkret bedeutet das: Ein digitales Schließsystem wird mit 50 Prozent, bis zu 2600 Euro, bezuschusst. „Wir hätten gerne auch eine Förderung für ein Studio gehabt, das unsere Kunden für Podcasts, Videos oder Bildschnitt nutzen können“, sagt Stützner. „Co-Working ist in den neuen LEADER-Richtlinien ein Förderschwerpunkt, und Niddatal ist vermutlich als neue Kommune mit dabei“, macht Domes deutlich, dass durchaus noch Zuschüsse zu erwarten seien. Darauf hoffen auch Model und Krause: Sie wollen über das LEADER-Regionalbudget eine Räumlichkeit schaffen, in der auch mal ein ruhiges Telefonat möglich ist.

dasgute.haus und Betterau seien Blaupausen, die man auf andere Kommunen übertragen könne, betont Wirtschaftsförderer Schmidt. Wie Co-Working auch andernorts im ländlichen Raum funktionieren kann, soll Thema eines Workshops sein, den die Wirtschaftsförderung gemeinsam mit der CoWorkLand eG unter dem Dach der Dorf-Akademie am 9. und 10. März 2022 anbieten wird, voraussichtlich in Nidda, wenn es die Pandemie zulässt, in Präsenz.

Weitere Informationen bei:

Wirtschaftsförderung Wetterau GmbH
Hanauer Str. 5
61169 Friedberg
Tel: +49 (0) 6031 – 77269-0
Fax: +49 (0) 6031 77269-29
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Foto: Betterau Co-Working in Niddatal-Ilbenstadt
Foto: dasgute.haus in Butzbach



PS: Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan von WETTERAU.NEWS!

online werben